Die Sache Christian Wulff

Ich schaue gerade Phönix. Dort wird über die Bischöfin Käßmann berichtet, über den Radsportler Armstrong, ihrer beider Siegeszug und Fall, ihr pathologischer Anspruch an Perfektion und Höchstleistung und die Auflösung ihrer Geschichten, dass all dies ein Märchen ist für jene, die den Absprung nicht geschafft haben aus der Kindheit, Märchen als etwas Erledigtes aus der Vergangenheit kindlicher Sichtweisen zu verbuchen.

Schließlich kommt der nächste Spot über Wulff. Schon die Art der Sendung zeigt die suchtartigen Strukturen, doch dazu später mehr, nun zur Sache Wulff:

Sie zeigt, das Maß mangelnder emotionaler Kompetenz unserer höchsten Politiker, die Menschen offenbar nur danach einschätzen können, was sie sagen. Wem natürliche Wahrnehmung und Sensibilität für Körpersprache schon früh abhanden gekommen ist, der erlebt dann z. B. die Sache Wulff als Erschütterung. Wie nur konnte man so einen Mann zum ersten unseres Staates ernennen. Frau Merkel glaubte ihn zu brauchen, um ihre Sucht nach Machterhalt auszuagieren.

Als ich damals hörte, dass Wulff für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen wurde, kam aus meiner Kehle zunächst ein Aufschrei. Ich war entsetzt darüber, wie man diesen aalglatten, gehemmten Mann vom Typ „großes Muttersöhnchen und dezenter Wichtigtuer“ ernsthaft für dieses Amt vorschlagen konnte. „Haben die denn kein Gespür für die Menschen?“, war meine Frage, die ich in den Raum rief…
Was an Wulff authentisch war, einzig und allein seine fehlende Authentizität.

Wer sich alte Videos vor der Nominierung Wulffs z. B. auf youtube ansieht, auf denen er spricht und auf denen er ganz zu sehen ist, am besten im Stehen, und dann einmal den Ton von dem Video wegdreht, der wird, wenn er noch über einen Funken gesunder Menschenkenntnis verfügt, was ich meine.

Wulffs Körpersprache steht nämlich in krassem Gegensatz zu dem was er sagt. Was er sagt, wenn man es aufschreiben würde, um es dann zu lesen, vermag schon nicht zu überzeugen, weil er über viele leere Floskeln nicht hinauskommt. Bis dahin zieht er mit den meisten Politikern gleich, die bewusst verworren formulieren, um vermeintlich zu versprechen, was sie von anfang an nicht halten wollen.
Wenn dann der Ton angeschaltet wird und man noch nicht hinschaut, dann hört man eine nicht wirklich überzeugende, zu weiche Stimme, die nicht zu einem Mann passt, der ein Staatsoberhaupt sein soll. Wenn man dann noch hinschaut, sieht man einen leicht gekrümmten Mann, der nicht wirklich stabil mit seinen Beinen auf der Erde steht, den man mit einem Fingertip umstoßen könnte, wie eine Pappfigur.

Man nennt diese Unstimmigkeit Inkongruenz. Ich habe selten einen Politiker gesehen, der in diesen erheblichen Maße inkongruent war wie Christian Wulff. Er sagt etwas anderes Als er denkt, dann wiederum handelt er anders als er redet. Sein Körper schließlich kann diese Verdrehung und Lüge nicht verstecken.

Seine Haltung beim großen Zapfenstreich, seine verkniffene Miene, all das war dann doch zuviel des Guten, hier sah man dem gelünchten Bad Boy sehr gut die Verbitterung an, über alle, die ihn kalt gestellt hatten. „Nur noch ein paar Minunten vor der Kamera aushalten, dann kommt bis an mein Lebensende der warme Geldregen, der mir zusteht, allein schon weil ihr mein Ego gedemütigt habt, und ich brauche nie wieder zwielichtige Kredite aufnehmen und anderswo Bittsteller sein.“ Geld was der deutsche steuerzahlende Bürger jeden Monat für Wulff abzwacken muss. Dass er dieses Geld nicht ablehnte, ist zunächst verwerflich und für mich ein deutlicher Hinweis auf seine Bedürftigkeit. Er witterte die große Chance, sich endlich das zu holen, was ihm schon immer zu stand.
Das Einzige, was er dabei nicht bedacht hat, dass das deutsche Volk die falsche Adresse für diesen den Rest seines Lebens anhaltenden Raubzug durch deutsche Gemeinden ist.

Wer ständig hinter dem Geld her ist, und bei Wulff drehte sich immer alles nur ums Geld (und um seine Verleugnung, dass es darum ginge), der wird irgendwann am Geld scheitern.

Mit seinem unmoralischen aber von unfähigen Politikern abgesegneten monatliche Griff in die Kasse unseres Landes, beweist Wulff einmal mehr, wie sehr er Geld als Ersatzbefriedigung und Kompensationsmöglichkeit für seine stark empfundene Minderwertigkeit braucht, wie der Fixer den täglichen Schuss. Dieses Bild rundet für mich die Person Wulff ab. Der Mensch, der sich hinter diese Person verbirgt, tut mir wirklich leid.
Hier zeigt sich wieder das Suchtsystem unserer Gesellschaft. Die Unfähigkeit, der mangelnde Wille eigene Unzulänglichkeit oder eigene Fehler einzugestehen. Folglich der pathologische Zwang nach aussen als perfekt zu gelten. Das Unvermögen allein aus sich heraus über natürliche Stärke zu verfügen.

All dies heraus aus dem schon frühen kindlichen Streben nach Anerkennung, das in Erwachsenen in solchen Formen seine Auswüchse findet. Hier wird ein Mangel deutlich, den der frühe Christian Wulff im Elternhaus erlitten haben muss. Menschen mit seinem Schicksal finden wir in allen Schichten unserer Gesellschaft zu Millionen. Der Schaden, den pädagogische Irrtümer und Unzulänglichkeiten anrichten, ist unermesslich.

Am Fall Wulff zeigt sich in gleichem Maße auch die Pathologie einer ganzen Gesellschaft, die zweifelhaften Persönlichkeiten zujubelt (vergleiche 1933-45), nur aufgrund der Tatsache, dass sie in hohe öffentliche Ämter berufen wurden, die Sucht des Einzelnen in der Masse die eigene Unzulänglichkeit durch die Zugehörigkeit zu Stellvertretern ein wenig aufzuwiegen.

Wulff und das Volk. Beide sind gleichermaßen zugleich Süchtiger, wie auch Droge. Beide bedingen sich und ihre Sucht gegenseitig.
Wir können in unzählige Bereiche mit dieser, die Sucht aufdeckenden Brille schauen, und werden immer wieder fündig, wie sehr Menschen sich selbst verleugnen und an einem Fremdbild von sich festhalten, weil sie glauben, dies sei besser als das des Menschen, der hinter diesem Bild steht.

Politiker könnten wirklich Großes leisten, wenn Sie sich von mehreren Therapeuten coachen und behandeln ließen, damit sie ihren größten Irrtum aufgeben könnten, zu glauben, nur geliebt und gewählt zu werden, wenn sie so sind, wie das Volk sie gern hätte und wenn es eben nicht mehr nur um ihr kleines armes Ego ginge, sondern sie viel mehr im Fokus die große gemeinschaftliche Sache endlich sehen würden. Ich bin der Auffassung, dass kein Politiker sein Amt ausüben dürfte, wenn er nicht regelmäßig und auch im Team an professioneller Supervision teilnimmt.

Was in der Wirtschaft in vorbildlichen Unternehmen bereits zum ’new standard‘ erhoben wurde, wo Zusammenarbeit statt pathologische Konkurrenz praktiziert wird, sollte für Staatsdiener obligatorische Voraussetzung sein, ohne die ihnen das Recht ein Amt zu bekleiden, verweigert werden müsste.

Buchtipp: Anne Wilson-Schaef, Im Zeitalter der Sucht.