Co-Abhängigkeit (Anne Wilson Schaef), Buchrezension

Die meisten Menschen in Industriestaaten sind co-abhängig
Das macht die Autorin deutlich, da unser gesellschaftliches System auf Co-Abhängigkeit aufbaut. Das verdeutlicht die Autorin später im Buch auch noch hinsichtlich Schule, Familie und Kirche.

Deutlich wird auch, das die meisten Therapeuten auch heute noch nicht die heimtückische Gefahr der Co-Abhängigkeit kennen und daher auch oft nur an der Oberfläche Symptome therapieren. Das mag den Einnahmen des Therapeuten zuträglich sein, nicht aber dem Wohlbefinden oder Erfolg des Klienten.

Ich halte die Lehre und Sichtweise der Autorin für zukunftsweisend. Sie räumt mit Vorurteilen, dem laxen Verhalten und auch mit der Unwissenheit der in der Branche arbeitenden Therapeuten gnadenlos auf, denn es gibt einiges zu verlieren, dessen sich diese Therapeuten oft nicht bewusst sind: Das Leben ihrer Klienten, mit dem oft sehr fahrlässig umgegangen wird. Oft therapieren Leute, die bloß eine Gesetzeslücke, nämlich die Heilpraktikerprüfung für den „HP Psychotherapie“ absolviert und keinerlei Zusatzausbildung genossen haben. Diese Prüfung dauert ca. 30 Minuten und sie kann jeder beim Ordnungsamt ablegen, erfordert bei Fleiß nur wenige Wochen an Vorbereitung. Solche „Therapeuten“, die die Autorin sicher auch mein, sind wahrlich eine Gefahr für unsere Gesellschaft.

Deutlich wird auch, dass die klassische Co-Abhängigkeit längst nicht nur an stoffliche Süchte gebunden ist, sondern auch an psychische. Diese Sichtweise ist für denjenigen, der damit erstmals konfrontiert wird, verwirrend, wird aber später deutlich, wenn man dieses spannende Buch weiter liest.

Ein Co-Abhängiger kann also jemand sein, der z.B. einem geliebten Menschen helfen will, der letztlich in seinem Verhalten gefangen ist, da dieser seine Persönlichkeit nicht von selbst mehr im Stande ist weiterzuentwickeln und so krankhafte Verhaltensweisen (Süchte) an den Tag legt, die zu einem freudlosen Leben führen. Die Person klammert sich an Gewohnheiten, z.B. übertriebener Ordnungssinn, Sauberkeitswahn, Esszwang, Kaufsucht, Liebessucht, Romanzensucht, etc. die sein Leben maßgeblich bestimmen und er sich so selbst emotional und spirituell vollkommen vernachlässigt, er letztlich ausbrennt.
Problem, der offensichtlich Kranke bekommt ggf. Hilfe, der Co-Abhängige ist aber ebenso krank in seiner Sucht, dem anderen helfen zu wollen, obwohl er es definitiv nicht kann (der Kranke oder Süchtige kann nur erfolgreich gesund werden, wenn er sich SELBST hilft) und bekommt meist keine Unterstützung. Co-Abhängigkeit kann ebenso schlimme, wenn nicht gar schlimmere Folgen nach sich ziehen als die Grunderkrankung des Süchtigen selbst.

Dieses Buch machte mir bei Beleuchtung diverser Beziehungen meines Umfeldes deutlich, wie schnell man in Ansätzen im Strudel von Co-Abhängigkeit gefangen ist. Diese Menschen haben meist auch das typische Helfersyndrom. Sie engagieren sich für andere bis zur völligen Erschöpfung, bis zum eigenen Zusammenbruch.

Die Autorin zeigt auf, dass die Wahl des Therapeuten von größter Wichtigkeit ist. Sie erklärt, worauf zu achten ist. Eine Liste mit Therapeuten darf man aber nicht erwarten. Ich erwähne das, da ich dergleichen oft in Rezensionen gelesen habe, die dann deshalb auch noch negativ ausgefallen sind.

Alles in allem wieder ein sehr gelungenes Buch von Frau Wilson-Schaef. Ich halte Sie für eine der weltbesten Autorinnen auf dem von ihr entdeckten Fachgebiet.